Wie fühlt es sich an, nach Jahren der Stille wieder hören zu können?
Ein Unfall im Teenageralter nahm Sonja Ohligmacher das Gehör, doch ein Cochlea-Implantat gab es ihr zurück – und wendete vieles wieder zum Guten. Als eine der ersten, die in den 1980er Jahren ein CI erhielt, kämpfte sie sich zurück ins Leben und fand ihre Stimme wieder,
Sonja Ohligmacher ist eine Pionierin: Sie gehörte in den 1980er Jahren zu den ersten, die sich ein Cochlea-Implantat einsetzen ließen – und selbst erlebte, wie es ist, wieder zu hören. Dank mutiger Menschen wie ihr können heute viele von der CI-Technik profitieren. Im Interview gibt Sonja Ohligmacher einen Einblick in ihre Geschichte.
Frau Ohligmacher, Sie haben Ihr Gehör als Mädchen verloren?
Ja, mit knapp 13 Jahren hatte ich einen Unfall auf dem Schulweg; ein Lkw fuhr mich an. Ich war mehrere Tage bewusstlos und als ich aufwachte, hörte ich nichts mehr. Ich erinnere mich, dass meine Mutter an meinem Bett saß und mit mir sprach, ich konnte aber nur sehen, dass sie ihre Lippen bewegt. Das war ein Schock.
Zunächst war ungewiss, ob mein Gehör sich erholt. Aber nach etwa zwei Monaten erfuhr ich, dass ich dauerhaft taub bleiben würde. Es hatte eine weitere innere Blutung gegeben, die meine Hoffnung, wieder hören zu können, zunichte machte.
Das war sicher hart für Sie, sie waren ja noch jung und vor Ihrem Unfall kerngesund. Gab es damals keine Möglichkeit, Ihnen zu helfen?
Meine Eltern suchten händeringend nach Lösungen, aber nichts half. Hörgeräte brachten nur eine kurzzeitige Besserung. Mir wurde alles aufgeschrieben. Schließlich bekam ich Privatunterricht von einem Gehörlosenlehrer, der mir das Lippenlesen beibrachte. Das funktionierte nur zum Teil; es ist zum einen sehr anstrengend und zum anderen bekommt man von Gesprächen nicht alles mit.
Wie ging es Ihnen an der Schule?
Ich blieb zunächst auf meinem Gymnasium, musste aber ein Jahr wiederholen, weil ich so viel verpasst hatte und mit dem Lernen nicht hinterherkam. Dem Unterricht zu folgen, war für mich so kräftezehrend, dass ich meine Eltern schließlich bat, mich auf eine andere Schule zu geben. Ich kam dann auf eine Freie Waldorfschule, wo ich mich zwar viel besser integrieren konnte, das Lernen blieb jedoch aufgrund meines Hörverlusts ein großes Problem. Nach zweieinhalb Jahren gab ich auf und wechselte auf eine spezielle Schule für Gehörlose, um dort meine Fachhochschulreife zu machen. Dort bestand ich mit gutem Ergebnis.
Die Pubertät an sich ist schon eine Herausforderung für Heranwachsende und durch Ihren Unfall hatten Sie es doppelt schwer … Wie haben Ihre Freunde reagiert?
Viele meiner alten Freunde zogen sich nach und nach zurück. Aber ich fand neue Freunde auf der Waldorfschule. Schwierig blieb die Kommunikation.
Wer waren oder sind die wichtigsten Personen in Ihrem privaten Umfeld?
Meine Mutter war in den Anfangsjahren eine sehr wichtige Bezugsperson für mich, sie hat mich unermüdlich unterstützt, insbesondere beim Hörtraining. Gleichzeitig war ich seit meiner Ertaubung mehr oder weniger abhängig von ihr. Im Nachhinein betrachtet, hat mich das sehr belastet. Nach meiner zweiten Reimplantation hörte ich so gut, dass ich mich aus der Abhängigkeit befreien konnte.
Insgesamt hat mich meine ganze Familie nach meiner Ertaubung sehr unterstützt – Eltern, Brüder, Verwandte …. Das hat mich auch in den ersten Jahren nach meinem Unfall immer wieder vor psychischen Abstürzen bewahrt. Irgendwann hatte ich allerdings kaum noch Kraft; bevor ich die CIs bekam, war ich über einen Zeitraum von ca. vier Jahren depressiv.
Heute sind mein Mann, der auch hörbehindert ist, aber kein CI trägt, und meine Tochter mit ihrer Familie die wichtigsten Personen in meinem Umfeld.
"Die Erfolgserlebnisse mit dem CI kommen!"
In den 1980er Jahren gehörten Sie zu den ersten, die sich ein Cochlea-Implantat einsetzen ließen. Wie kam es dazu?
Ein Jugendfreund, der Hals-Nasen-Ohrenarzt war, hatte mich auf diese Möglichkeit aufmerksam gemacht. Ich war eine der ersten Personen, die ein CI bekamen; es wurde mir 1980 in Wien eingesetzt – und zwar an einem Freitag den 13. Ich hätte die Operation auf einen späteren Termin legen können, aber das wollte ich nicht; ich wollte keine Zeit verlieren. Und das, obwohl mir damals viele davon abrieten, weil man noch kaum Erfahrungswerte mit dem Gerät hatte. Aber das CI gab mir nach meinem Unfall 1964 das erste Mal wirklich Anlass zur Hoffnung, eines Tages doch wieder hören zu können. Ich hatte auch großes Vertrauen in den Operateur, Professor Burian.
Damals waren die Bedingungen für die Operation sicher noch ganz anders … wie haben Sie die OP erlebt?
Es gab noch kein CT, nur Röntgenaufnahmen und eine sehr schmerzhafte Methode zur Voruntersuchung. Auch hatten die Krankenhäuser nicht die Standards, die wir heute kennen; ich war zunächst richtig erschrocken, als ich ins Krankenhaus kam. Für die Operation wurde ich auf einer Seite ganz kahl rasiert und ich musste drei Wochen in der Klinik bleiben. Trotzdem zweifelte ich keinen Augenblick, ich wollte das Cochlea-Implantat. Und ich habe es nicht bereut! Heute ist der Aufenthalt nach der CI-Operation in der Regel sehr viel kürzer und der Eingriff insgesamt auch viel angenehmer.
Natürlich hatten Sie als eine der ersten CI-Trägerinnen bestimmt auch einen engen Kontakt zu den MED-EL Firmengründern Ingeborg und Erwin Hochmair. Haben Sie besondere Erinnerungen?
Meine erste Begegnung mit dem Ehepaar Hochmair hatte ich bei meiner Erstanpassung. Beide habe ich immer als sehr empathisch und zugewandt empfunden. Die Tests verliefen stets sehr behutsam, damit es nicht zu einer Überstimmulation kommt, Das ist auch nie passiert. Jeder war darum bemüht, mich nicht zu überfordern. Alle zusammen waren ein sehr nettes Team und es herrschte eine lockere Atmosphäre. Wir verbrachten sogar die Mittagspausen gemeinsam und ich hatte immer das Gefühl, dass ich dazugehöre. Dieses Gefühl hatte ich grundsätzlich während der vielen Aufenthalte in Wien.
Das klingt wirklich nach viel Aufbruchstimmung und Pioniergeist. Sie sprachen von Ihrer Erstanpassung – können Sie sich vielleicht noch an das erste Hörerlebnis mit dem Implantat erinnern?
Anfangs hörte ich nur Geräusche. Bis ich wieder Stimmen hören konnte, lag viel Arbeit vor mir. Ich habe mit einer Logopädin und auch zu Hause viel geübt. Meine Mutter hat mich sehr dabei unterstützt. Nach etwa anderthalb Jahren hatte ich ein gewisses Verständnis für die Geräusche und konnte wieder einfache Gespräche führen. Bei meiner dritten Operation 1995 war die CI-Technik schon sehr viel ausgereifter. Ich stellte schon in der Klinik fest, dass ich nach der OP ein besseres Sprachverständnis hatte. Und als meine Mutter mich abholte und im Auto neben mir etwas sagte, verstand ich es und antwortete ihr. Das war natürlich sensationell, ich werde diesen Moment nie vergessen! Innerhalb einer Woche konnte ich sogar wieder telefonieren. Ich saß damals lange am Telefon und rief nacheinander alle an – Verwandte, Freunde, Bekannte … das war ein riesiger Erfolg für mich.
Wie hat sich Ihr Alltag mit dem CI verändert?
Das CI gab mir meine Unabhängigkeit zurück. Vorher war ich auf meine Mutter angewiesen, jetzt konnte ich selbständig telefonieren und mich wieder besser mit anderen verständigen. Auch im Beruf konnte ich nun direkt mit Kunden arbeiten. Das zu erreichen war immer mein Ziel gewesen und dank des Cochlea-Implantats habe ich es geschafft.
Sie engagieren sich heute in der Selbsthilfe für CI-Träger. Können Sie uns mehr darüber erzählen?
Ich leite eine Selbsthilfegruppe in Stuttgart, mittlerweile seit über 20 Jahren, und bin im Präsidium des Cochlea-Implantat-Verbandes Baden-Württemberg aktiv. Unsere Mitgliederzahl wächst ständig – ein klares Zeichen, wie wichtig unsere Arbeit ist! Wir bieten Beratungen für Betroffene und Angehörige an und wir unterstützen auch bei Bedarf. Oft kommen Menschen bedrückt und unsicher zu uns in die Beratung und gehen voller Hoffnung und Zuversicht. Wenn ich Einblick in meine eigenen Erfahrungen gebe, nimmt das vielen die Angst. Ich selbst höre schon seit 43 Jahren und drei Reimplantationen noch immer sehr gut mit dem CI.
Welche Ziele und Projekte sind Ihnen als Vizepräsidentin der DCIG besonders wichtig?
Sozialpolitisches und gesundheitliches Engagement auf Bundesebene, finanzielle Stabilität, die Auseinandersetzung mit den Herausforderungen der Zukunft – Technik, Medizin, Sozialpolitik usw. – das sind Stichworte, weshalb ich mich in der DCIG engagiere. Wir machen viel Öffentlichkeitsarbeit; die DCIG ist eine starke Stimme für alle CI-Träger, auf sämtlichen Ebenen. Ich wünsche mir sehr, dass noch viel, viel mehr Menschen von einem CI profitieren und wieder hören können.
Auf Ihrem langen Weg mussten Sie sich oftmals überwinden und vieles ist Ihnen sicher nicht leichtgefallen, aber es klingt deutlich durch, dass es sich am Ende immer gelohnt hat. Kann man das so sagen?
Ja, ich bin sehr froh, den Weg gegangen zu sein. Dank des CI habe ich viel erreicht – und zwar auf sozialer Ebene sowie auch beruflich. Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich viele Jahre in einem tollen Kollegenteam im Publikumsbereich arbeiten konnte. Das wäre nicht gegangen, ohne zu hören.
Was würden Sie anderen Betroffenen gerne sagen?
Geduld, Ausdauer und Motivation sind sehr wichtig. Man sollte keine zu hohen Erwartungen haben und nach der Operation Schritt für Schritt vorangehen. Die Erfolgserlebnisse mit dem CI kommen – und sie motivieren dazu, weiterzumachen.
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